Gesundheitszentrum Büsum

Wie eine Kommune ihren Standort für Hausärzte attraktiver macht

Büsum Küstenlandschaft

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Das 2015 gegründete Gesundheitszentrum Büsum war das erste Hausarztzentrum in kommunaler Hand. Gründungsmotivation war vor allem die Altersstruktur der niedergelassenen Hausärzte (Altersdurchschnitt 63 Jahre) und der damit prognostizierte Versorgungsmangel in der Region. Als eine von vier durch die Robert Bosch Stiftung geförderte PORT-Praxen - Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung - erreichte das Zentrum unter Leitung der Ärztegenossenschaft Nord e.G. überregionale Strahlkraft. Neben gezielten Präventions- und Qualifikationsangeboten sowie dem Einsatz von nichtärztlichen Praxisassistentinnen (NäPas) als Ansprechpartner und Gesundheitslotsen zeigen die erfolgreichen Wiederbesetzungen der vakanten Arztsitze, dass smarte Ansätze Versorgungsdefizite dämpfen können. Seit Anfang 2024 wird das Gesundheitszentrum durch einige dort ehemals angestellte Ärztinnen und Ärzte betrieben. Sie gründeten eine Berufsausübungsgemeinschaft, übernahmen die Kassenarztsitze und sind jetzt Arbeitgeber für weitere ärztliche und nichtärztliche Kolleginnen und Kollegen. Dieses Beispiel zeigt, dass kommunale MVZ auch als erfolgreiche Übergangslösung fungieren können, bis jüngere Generationen zur Übernahme bereit sind.  

Durchschnittsalter

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein liegt bei

0

Jahren

Renter/Rentnerinnen

Auf 100 Erwerbsfähige kommen im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein

0

Rentnerinnen und Rentner.

Ärzte/Ärztinnen

Für 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen gibt es im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein

0

ambulante Ärztinnen und Ärzte.

Hausärzte/Hausärztinnen

Im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein sind

0 %

der Hausärzte und -ärztinnen über 60 Jahre alt.

Fachärzte/Fachärztinnen

Im Landkreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein sind

0 %

der Fachärzte und -ärztinnen über 60 Jahre alt.

  • Gründung: 2015
  • Rechtsform: Ärztezentrum Büsum gGmbH
  • Status: verstetigt
  • Schwerpunkt: ambulante, hausärztliche Versorgung

Steck­brief

Gründungsmotivation

Altersstruktur der niedergelassenen Hausärzte (Altersdurchschnitt 63 Jahre) und der damit prognostizierte Versorgungsmangel in der Region; Ärztegenossenschaft Nord e.V. und KVSH als Initiatoren neuer Strukturen

Typ

Medizinisches Versorgungszentrum, von der Robert Bosch Stiftung gefördertes Patientenorientiertes Zentrum zur Primär- und Langzeitversorgung (PORT-Zentrum)

Abdeckung

21.500 Patienten (Stand 2021), 6 Ärzte, 12 medizinische Fachangestellte, 1 Case Manager

Rolle der Netzwerkorganisation

Regionale Infrastrukturentwicklung, u.a. Ansiedlung weiterer Gesundheitsfachberufe und Anbieter im MVZ, Gebäudemanagement, Patientenschulungen

Prozesse

Zentrales Management der begleitenden Infrastruktur und Prozesse wie Einkauf, Finanz-, Personal- und Qualitätsmanagement wird durch die Trägergesellschaft übernommen

IT-Strategie

Einheitliches und zentral betreutes Praxisverwaltungsystem im MVZ

Das Gesundheitszentrum Büsum als PORT- Zentrum

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Das Gesundheitszentrum Büsum als PORT- Zentrum

Region

Büsum ist eine Gemeinde im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein. Etwa 5.000 Einwohner zählt der beliebte Hafenort, der an der Meldorfer Bucht an der Nordsee gelegen ist. Das Heilbad ist durch den starken ganzjährigen Tourismus mit etwa 230.000 Gästen und knapp 1,2 Mio. Übernachtungen geprägt. Hinzu kommen vor allem in den Sommermonaten circa 500.000 Tagesgäste. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 46,8 Jahren. Der Altenquotient, der den Anteil von Personen im Rentenalter ab 65 Jahren im Verhältnis zur erwerbsfähigen Bevölkerung von 20 bis 64 Jahren angibt, liegt bei 44,8.

Hintergrund und Gründungsmotivation

Büsum als Kurort erscheint auf den ersten Blick als recht überschaubare Gemeinde im Norden Deutschlands. Nicht nur für die Einwohner, auch für die vielen Urlauber und für die umliegenden Gemeinden ist Büsum der Knotenpunkt für die hausärztliche Versorgung in der Region. Bereits 2015 lag der Altersdurchschnitt der Hausärzte bei 63 Jahren; der älteste praktizierende Arzt war über 70 Jahre alt. Die aussichtlose Suche nach potenziellen Nachfolgern für die vakanten Hausarztsitze war damals auch im Rathaus bekannt und führte zu entsprechendem Handlungsdruck.

Das Gesundheitszentrum Büsum als PORT-Zentrum. Bis Ende 2023 wurde das Gesundheitszentrum Büsum als eine von vier Initiativen der Robert Bosch Stiftung als „PORT-Standort“ ausgewählt. Ziel dieses Projektes und der damit verbundenen Förderung ist es, „...für Deutschland innovative, umfassende und exzellente Gesundheitszentren zur Primär- und Langzeitversorgung in einer Region“ umzusetzen, um aus einer Hand eine bessere Behandlung und Betreuung vor allem von chronisch erkrankten Patienten zu ermöglichen.[1] Konkret bedeutete die Förderung, dass auch die Betreuungs- und Lotsenfunktion des Hausarztes gestärkt werden konnte. Hierzu wurden Nicht-ärztliche Praxisassistenten (NäPas) eingestellt, die vor allem Patientinnen und Patienten mit hohem Beratungs- und Betreuungsaufwand unterstützen und auch routinemäßige Hausbesuche durchführen sowie Folge- und Kontrolltermine organisieren. Daneben wurden durch den Schulterschluss mit der Gemeinde und den Vereinen vor Ort regelmäßige Weiterbildungen zu den Themen Gesundheitsmanagement und Prävention angeboten.

Ärztegenossenschaft und Kommune als Initiatoren neuer Strukturen, die kassenärztliche Vereinigung als Partner

Auch innerhalb der Ärztegenossenschaft Nord e. G. erkannte man die Situation der regionalen Gesundheitsversorgungslage und schlug verschiedenen Gemeinden vor, selbst stärker in die Verantwortung für die Versorgung vor Ort zu gehen und beispielsweise kommunale Medizinische Versorgungszentren zu gründen. Die Ärztegenossenschaft Nord e. G. wurde im Jahr 1999 auf Anregung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) durch Ärzte und Ärztinnen in der Region gegründet. Wesentliche Treiberin war die damalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen), die Strukturen schaffen wollte, mit denen insbesondere Verträge der integrierten Versorgung nicht mehr zwangsläufig zwischen KV und Krankenkassen abgeschlossen werden mussten. Heute sind in der Ärztegenossenschaft Nord e. G. 1.800 ärztliche Mitglieder organisiert. Sie übernimmt die politische Interessenvertretung, organisiert den gemeinsamen Einkauf und kümmert sich um Versorgungsverträge, Netzmanagement sowie die regionale Versorgung. In dieser Rolle gab die Genossenschaft im Jahr 2015 den Anstoß zur Gründung des Gesundheitszentrums Büsum.

Lessons Learned

Zur Übertragung geeignet

  • Kommunale Akteure als Träger und Initiatoren von MVZs, die zu regionalen Gesundheitszentren entwickelt werden
  • Einbindung von NäPas zur Unterstützung ärztlicher Ressourcen
  • Professionelle Unterstützung – wie im konkreten Fall durch die Ärztegenossenschaft Nord e. G. – bei der Initiierung solcher Zentren

Hürden der Verstetigung

  • Mangelnde Flexibilität und eingeschränkte rechtliche Möglichkeiten für Kommunen, selbst MVZs zu betreiben, z. B. als Eigenbetrieb, Anstalt öffentlichen Rechts oder GmbH
  • Zu wenige Möglichkeiten zur Etablierung kooperativer Modelle, die z. B. hausärztliche, physiotherapeutische sowie pflegerische Leistungen verbinden

Faktoren des Gelingens

  • Frühzeitige Ansprache betroffener Ärzte, die vor dem Renteneintritt stehen
  • Enge Einbeziehung der Ärztegenossenschaft Nord e. G. zur Bewältigung bürokratischer und administrativer Hürden
  • Übernahme von Infrastrukturinvestitionen durch die Kommune
  • Abstimmung der baulichen Maßnahmen an die Erfordernisse eines integrierten Versorgungszentrums (gemeinsame Anmeldung, angeschlossene Physiotherapie)

Gründung und Entwicklung des Gesundheitszentrums

Obwohl die Kommune selbst zum damaligen Zeitpunkt nicht direkt als Trägerin eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) auftreten durfte, erhielt die Gemeinde Büsum von der KVSH über den Umweg einer kommunalen Eigeneinrichtung die Erlaubnis zur Gründung eines hausärztlichen Versorgungszentrums. Nach Abschluss der Formalien wurden vier Hausarztsitze organisatorisch als auch örtlich in diesem Zentrum zusammengeführt und die Ärztegenossenschaft Nord e. G. mit der Geschäftsführung betraut. Das Ärztenetz firmiert damit seit 2016 als Ärztezentrum Büsum gGmbH. Das Besondere: Die Ärzte konnten dafür gewonnen werden, ihre eigenen Praxen in die Räume des MVZ zu überführen und ihre Kassenarztsitze zu übertragen. So konnten die neuen Strukturen rechtzeitig mit den noch vorhandenen Ärzten aufgebaut werden, bevor diese in den Ruhestand gingen. Seitdem konnten alle frei werdenden Hausarztsitze wiederbesetzt werden. Heute arbeiten sechs Ärztinnen und Ärzte – von denen ein Arzt bereits seit der Gründung des Gesundheitszentrums dabei ist – gemeinsam mit 12 Medizinischen Fachangestellten und einer Case-Managerin im Zentrum. Seit Anfang 2024 ist das MVZ wieder in privater Hand: Drei ehemals dort angestellte Ärzte haben die von Beginn an bestehende Option jetzt gezogen, dass jeder dort angestellte Arzt seinen Kassenarztsitz für eine Selbstständigkeit nutzen könnte, jetzt gezogen. Das Beispiel zeigt: Wenn die Bedingungen stimmen, sind auch junge Ärztinnen und Ärzte zu selbstständiger Tätigkeit bereit. 

Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) ist eine Einrichtung im Gesundheitswesen, die eine gebündelte ambulante medizinische Versorgung in einem häufig interdisziplinären Team aus angestellten Ärzten, medizinischem Fachpersonal und weiteren Gesundheitsdienstleistern an einem zentralen Standort bereitstellt. Im Gegensatz zu Einzelpraxen, die in der Regel nur eine Fachrichtung abdecken, können im MVZ verschiedene medizinische Fachbereiche angeboten werden. Insbesondere in ländlichen Regionen mit begrenzter Anzahl an Arztsitzen spielen MVZs eine wichtige Rolle bei der Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung. Die enge Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen trägt zur koordinierten und ganzheitlichen Betreuung der Patienten bei. Finanziert werden die medizinischen Leistungen im MVZ von den Krankenversicherungen und sie sind in der Regel nicht mit zusätzlichen Kosten für die Patienten verbunden.[2]

Charakter und Attraktivität des Gesundheitszentrums

Durch den Kauf und die Modernisierung eines Ärztehauses (ebenerdiger Flachbau in der Form eines Kleeblatts) durch die Gemeinde Büsum begann das Ärztezentrum mit exzellenten Startvoraussetzungen. Es wurde eine große Gemeinschaftspraxis mit zentraler Anmeldung im Mittelbereich des Gebäudes realisiert und Platz für neue Gewerbeflächen geschaffen, die inzwischen durch eine Apotheke, je eine Osteopathie- und eine Physiotherapiepraxis, ein Sanitätshaus sowie eine Zahnarztpraxis bezogen wurden. Begleitende Infrastrukturen und Prozesse werden durch die Trägergesellschaft zentral übernommen. Zudem entstand ein Schulungszentrum mit einem breit gefächerten Angebot an Patientenschulungen. Im Detail bedeutet das, dass Personalmanagement, Qualitätsmanagement und Einkauf zentral organisiert werden und nicht mehr die Kapazitäten der ansässigen Ärzteschaft belasten. Ebenso wurde auf ein einheitliches und zentral betreutes Praxisverwaltungssystem umgestellt. Allein diese Maßnahmen steigerten die Anziehungskraft auf neu zu gewinnende Ärzte signifikant. Thomas Rampoldt, der Geschäftsführer des Zentrums bis Ende 2023, unterstreicht, dass es zwar immer noch herausfordernd sei, offene Stellen nachzubesetzen, dass aber das zentrale Recruiting die Einstellung neuer Kolleginnen und Kollegen deutlich vereinfacht habe. Ärzte können sich in einem sicheren Anstellungsverhältnis auf den Kern ihrer ärztlichen Aufgaben und Kompetenzen konzentrieren, was gegenüber einer kreditbelasteten Praxisübernahme im ländlichen Raum einen großen Attraktivitätsvorteil hat. Die Ressource Arzt wird somit wesentlich effektiver genutzt und nicht mit IT-Fragen, Personalakquise, Qualitätsmanagement und vielem mehr verbrannt.

Zudem werden Vorträge und ehrenamtliche Initiativen eng mit dem Nachbarschaftshilfeverein abgestimmt und aus einer Hand koordiniert. Die Gemeinde Büsum ist mit dem eingeschlagenen Weg heute sehr zufrieden. Neben der Sicherung der vakanten Arztstellen konnte auch das Versorgungsangebot weiterentwickelt werden. Wirtschaftlich steht das Zentrum ebenso gut da und konnte in den vergangenen Jahren die Anzahl behandelter Patienten steigern sowie erfolgreich Fördermittel einwerben. Die überregionale Bedeutung und die Stärke des kooperativen Modells scheinen hierfür maßgeblich zu sein.

 

Büsum Ältere Dame

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Ausblick und Übertragungspotenzial

Das Ärztezentrum Büsum wird zukünftig vor allem weiter an der Verzahnung mit anderen Akteuren wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen arbeiten. Durch die enge Einbettung in die Ärztegenossenschaft Nord e. G. und durch die Sichtbarkeit aufgrund der Förderung der Robert Bosch Stiftung sind inzwischen auch andere Gemeinden der Region auf das Modell aufmerksam geworden. Heute finden sich bereits mehrere regionale Ärztezentren in Schleswig-Holstein. Zum Beispiel entstanden im Jahr 2021 in Bad Bramstedt und Brunsbüttel weitere kommunale Versorgungszentren.[3]

 

Grundsätzlich zeigt der Büsumer Ansatz, wie kommunale Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung der Versorgung vor Ort beitragen können. Verständlicherweise scheuen viele Gemeinden den administrativen Aufwand und die bürokratischen Hürden. Sind die Hürden jedoch erst einmal genommen, erhöht es die Versorgungssicherheit und steigert unmittelbar die Attraktivität der Regionen (auch für neue Ärzte). Strukturelle Lösungsansätze wie in Büsum zeigen dabei auch, dass professionelle Unterstützung, wie sie durch die Ärztegenossenschaft Norde. G. erbracht wurde und wird, vital für den Aufbau, den Betrieb und die Weiterentwicklung kommunaler Gesundheitszentren ist.

Quelle:

Regionaldatenbank Deutschland: Tabelle abrufen (regionalstatistik.de)

  • Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland (Stand 31.12.2021)
  • Anzahl Rentner auf 100 Erwerbsfähige (Altenquotient, Stand 31.12.2021)
  • Anteil der Hausärzte über 60 Jahren in Prozent (Quelle: Stiftung Gesundheit)
  • Anteil der Fachärzte über 60 Jahren in Prozent (Quelle: Stiftung Gesundheit)
  • Ambulante Ärzte pro 100.000 EW (Quelle: Stiftung Gesundheit)

Literaturverzeichnis

1 Kassenärztliche Bundesvereinigung (Hrsg. 2023): Sicherstellungsmaßnahmen der kassenärztlichen Vereinigungen. [02.08.2023]

2 Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg. 2023): Medizinische Versorgungszentren. www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/ambulante-versorgung/medizinische-versorgungszentren.html [05.09.2023]

3 Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg. 2023): PORT – Patientenzentrierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung. [02.08.2023]

Alle Beispiele